… Wie das von einem Tag auf den anderen geht, darüber sprach Marianne Ricking mit Ava (7), Pola (12) Lotta (15), Linus (16) und ihren Eltern Claudia und Gilbert G.
Nach elftägiger Flucht aus der Ukraine leben Yuliia und ihr Sohn Ivan seit Anfang März bei Familie G. "Als wir im Fernsehen die Nachrichten anschauten und die schrecklichen Bilder vom Krieg sahen, da hatten wir den starken Wunsch, etwas zu tun, konkret zu helfen", sagen Claudia und Gilbert G.
Sehr schnell entschieden sie, geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufnehmen zu wollen. Ebenso schnell war klar, dass sie diesen Schritt nur mit dem Einverständnis ihrer Kinder tun können und wollen.
Sehr beeindruckt waren sie, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kinder dem Plan zustimmten und wie viele Ideen sie zur konkreten Umsetzung entwickelten. Sie haben darüber nachgedacht wie sie so zusammenrücken können, dass es Platz für Gäste gibt. "Wir haben die Stimmen der Kinder sehr ernst genommen, da gab es kein Zögern; alle haben gesagt wir schaffen das, aber es geht nur gemeinsam."
Nachdem eine realistische Perspektive zur Umsetzung des Vorhabens entstanden war, recherchierten Lotta und Linus im Internet und boten bei einem entsprechenden Portal Aufnahme in ihre Wohnung an. Zur großen Überraschung aller kam eine prompte Antwort: "Das war ein Satz in kyrillischer Schrift", sagt Claudia G., "das habe ich erst mal per Google übersetzt, und auf diese Weise haben wir Name, Alter und Ankunftszeit unserer Gäste am Hauptbahnhof in Köln erfahren." Schon zwei Tage später konnten sie Yuliia und ihren 17-jährigen Sohn Ivan am Hauptbahnhof abholen. Zuvor wurden in aller Eile Betten gemacht, Regalbretter freigeräumt und die Wohnung auf die Ankunft der Gäste vorbereitet.
Erleichtert waren alle, als sie feststellten, dass eine gegenseitige Verständigung auf Englisch möglich war. Das machte die Alltagskommunikation leicht. Ganz problemlos haben sich Mutter und Sohn in den Familienalltag integriert, stellt Claudia G. fest, auch wenn der Alltag von vier Kindern und zwei berufstätigen Eltern vielerlei Herausforderungen bietet.
Am Anfang brauchten ihre Gäste vor allem Ruhe, haben nach der langen und beschwerlichen Flucht viel geschlafen. Darauf haben alle Rücksicht genommen.
Unser Gespräch findet am 20. Mai statt, zu diesem Zeitpunkt blickt die Familie schon auf eine zehnwöchige Erfahrung mit der neuen Situation zurück und stellt fest: Teilen bedeutet Einschränkung und Bereicherung zugleich.
Ungewohnt ist es, vor der Badezimmertür warten zu müssen oder auch nach dem Duschen komplett angezogen das Bad zu verlassen; "Wir haben das von Anfang an mit Humor gesehen und konnten uns schnell darauf einstellen", sagt Claudia G. Auch die Kinder konnten sich schnell auf die neue Situation einstellen. Lotta teilt ihr Zimmer mit Pola; Ava ist mehrfach in der Wohnung umgezogen, hat aber viel Spaß am "Leben aus dem Koffer" wie sie selber sagt.
Geteilt werden aber nicht nur die Räume – Schlafzimmer, Badezimmer, Küche, sondern auch Zeit. Viele zeitraubende Gänge zu Behörden und Ämtern standen an. Yuliia hat inzwischen Arbeit gefunden und Ivan einen Platz in der Schule; das zu erreichen kostete Zeit und Mühe. Wie lange dieser Zeitraum des Teilens gehen würde, war nicht klar, alle haben entschieden, den Zeitraum offen zu lassen.
"Es ist ein großes Glück diese beiden Menschen kennengelernt zu haben", sagen Claudia und Gilbert G. "Wir führen interessante Gespräche und lernen eine für uns bislang unbekannte Kultur kennen." Schön finden es alle, am großen Tisch zu sitzen und gemeinsam zu essen. Gemeinsam wird zuvor der größte Topf gesucht, damit für acht Personen darin gekocht werden kann, ab und an gibt es auch ein ukrainisches Essen.
Aber nicht alles ist leicht, denn wenn Yuliia und ihr Sohn aus der Heimat schlechte Nachricht bekommen (der Ehemann und die Eltern sind in der Ukraine geblieben), dann wird nicht viel gesprochen, man nimmt sich einfach in den Arm. Jede und jeder in der Familie trägt offenbar etwas dazu bei, dass das Miteinander gelingt. So macht es zum Beispiel Lotta Spaß, beim Deutsch-Lernen zu helfen, sie hat ganz viel Geduld und stellt selber fest, dass Deutsch eine schwierige Sprache ist.
Sehr bald war klar, dass Yuliia und Ivan den Wunsch hatten, sich in einer eigenen Wohnung zu beheimaten. Ein großes Glück war, dass sich eine Wohnung in der Südstadt fand, die zum ersten Juni bezogen werden konnte. Gilbert und Sohn Linus haben viel Zeit und Energie investiert, um die neue Wohnung herzurichten. Sie haben sich um gebrauchte Möbel bemüht und sie in der Garage zwischengelagert. "Dafür kann unser Auto jetzt mal draußen stehen", findet Gilbert G.
Mittlerweile ist ein freundschaftliches Verhältnis zwischen der Familie und den Gästen entstanden. "Ich finde schade, dass die beiden ausziehen, sie gehören doch jetzt zur Familie", meinen Ava und Pola und freuen sich, dass die Entfernung zur neuen Wohnung nicht groß ist.