Was wäre, wenn Jesus heute in dieser Kirche ein ganz einfaches Mitglied wäre? Mein alter Religionslehrer hätte uns diese Frage verboten. Aber stellen wir sie mal. Würde man Jesus den Mund verbieten und ein Bußschweigen verordnen, wie es von Galilei bis Boff viele getroffen hat? Oder würde man ihm ein Lehrverbot erteilen wie Küng oder Berger, würde man sich weigern ihn als Gemeindeleiter zuzulassen? Denn so wie er damals mit religiösen Traditionen, die das Leben eng machen und Angst erzeugen, in Konflikt geriet, so würde er heute ganz sicher für die wiederverheirateten Geschiedenen eintreten und sich mit ihnenzu Tisch setzen, d.h. Eucharistie feiern. Oder würde Jesus nach einige Zeit merken: Der Laden ist so mittelalterlich und so verkrustet, da tut sich nichts mehr! Ich mach was Neues auf und fange noch mal an!
Die Kirche sollte eigentlich dafür da sein, die Liebe zu leben. Die Liebe zu den Menschen, wie immer sie sein mögen. Über alle Gebote und Regeln, über ihre Dogmen und Traditionen, über alles sollte sie die Liebe stellen und leben, beispielhaft vorleben.
"Es überzeugt mich nicht, wenn nur zitiert wird oder Katechismuswahrheiten referiert werden. Man muss erkennen können, dass und wie der Glaube Menschen heute im Leben und Sterben hilft." (Klaus-Peter Jörns, evangelischer Theologe)
Ich denke da manchmal an Weichtiere, die nur mit einer Schale oder einem Schneckenhaus durchs Leben kommen. Das Leben selbst ist zart und sehr verletzbar und muss geschützt werden. Aber ein hartes Schneckenhaus muss mitwachsen, muss sich dem zarten Leben anpassen, sonst wird es zu einem Gefängnis. Die Kirche muss mit dem lebendigen Glauben der Christen mitwachsen und sich ändern, sonst wird sie zu einem Gefängnis. Bitte, liebe "Oberkirche", verändere dich, höre auf die Menschen, rede und lehre mal weniger und wachse mit den Menschen, sonst wirst du zum Gefängnis, und die Menschen wandern aus.
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Johannes Krautkrämer, Pfarrvikar