Wer aufhören will, muss anfangen

Aufhören können, zum Beispiel aufhören können zu denken, geht das überhaupt?
Für viele Menschen, die sich mit Meditation befassen wollen, besteht genau darin die Zielvorstellung. Endlich aussteigen aus den oft quälenden Gedankenschleifen und innerlich frei werden, wie schön wäre das, findet Beate B.

Direkt zu Beginn meiner nunmehr langjährigen Beschäftigung mit Meditation musste ich allerdings lernen: Nichtdenken geht nicht, man kann nicht aufhören zu denken.

Eigentlich kennen wir das alle: Denk’ nicht an einen rosa Elefanten, einen Rieseneisbecher, die Steuererklärung … Je mehr wir versuchen,  Gedanken zu unterdrücken, umso stärker drängen sie sich uns auf.

In der Meditation geht es darum zu lernen, die Gedanken fließen zu lassen, sich nicht daran festzuhalten und auch nicht über sich selbst nachzudenken.

Es gilt zu akzeptieren, dass wir nicht aufhören können zu denken. Unser Gehirn will ständig gefüttert werden mit Aufgaben, sonst verselbstständigen sich die Prozesse. 

In dem folgenden Koan (Geschichten aus dem Zen-Buddhismus) wird dies in humorvoller Weise veranschaulicht:
Ein älterer und ein junger Mönch waren auf dem Heimweg zu ihrem Kloster. Sie mussten über einen Fluss, und an der Furt stand eine junge Frau und traute sich nicht über das Wasser. Da nahm der ältere Mönch sie in den Arm und trug sie hinüber und setzte sie am anderen Ufer wieder ab. Am Abend sagte der junge Mönch zum älteren: "In unserer Regel steht doch, dass wir Frauen nicht einmal ansehen, geschweige denn berühren oder tragen dürfen. Und du hast einfach diese junge Frau in den Arm genommen."
"Ja", sagte der alte Mönch, "ich habe sie am anderen Ufer wieder abgesetzt, du aber trägst sie jetzt noch in deinem Kopf herum" (aus: Willigis Jäger erzählt Zen-Geschichten. CD, Benediktushof-Edition 2004).

So wie der ältere Mönch in der Geschichte aktiv geworden ist, versuchen auch wir, in der Meditation anders mit unseren Gedanken, unserer beständigen Hirnaktivität, umzugehen.

Wir stellen uns dazu bildhaft vor, wie wir aus uns heraustreten, uns in die Position des Beobachters unserer selbst begeben. Wir werden Zeugen dessen, was sich in uns abspielt. 

Ähnliches geschieht auch, wenn wir humorvoll sind. Der Humor löst uns aus der Haltung des Sich-Ernstnehmens und befreit uns mit Hilfe bewusster Selbstdistanzierung aus dieser Festlegung. Wir treten in eine Metaperspektive ein, bildhaft gesagt, in die Vogelperspektive, und schauen unseren inneren Dramen zu. 

Ich beobachte mich beim Denken, lasse die Gedanken kommen und weiterziehen, alles ist in Bewegung. Ich sehe vor meinem inneren Auge Papierschiffchen, die auf dem Wasser wegtreiben, fallenden Schnee, der auf dem Boden zerschmilzt, einen Stein, in den See geworfen, um den sich Kreise bilden, die immer weiter und flacher werden und schließlich verschwinden, den Vogelflug, der sich in der Ferne verliert…

In der Meditation möchten wir innere Ruhe, ja Stille erlangen. Wir möchten unserem Atem folgen, der ganz von alleine in einer großen Ein- und Ausbewegung unser Leben bedeutet und begleitet.

Wir lernen Schritt für Schritt, uns diesem Atem anzuvertrauen, der unsere innere Aufmerksamkeit in ruhige Bahnen lenkt und unseren Denkreiz stillt. 

Aufhören und Ausatmen, Anfangen und Einatmen, beides fügt sich zu einer großen Kreisbewegung zusammen.

10_4292 (c) SilviaBins