Für Sie gelesen:

Jürgen Wiebicke:  Erste Hilfe für Demokratieretter 

Der Titel und das schmale Bändchen haben mich neugierig gemacht. Und dann steht auf der Umschlagrückseite: Viele haben das Gefühl, sie müssten etwas tun, aber was genau? Unser Pfarrbriefthema dachte ich.

Ich habe die hundert Seiten in einem Zug gelesen (sogar auf einer Zugreise). Jürgen Wiebecke – freier Journalist in Köln, u.a. bekannt durch das wöchentliche philosophische Radio - stellt konkrete, lebensnahe Beispiele von tatkräftigem und wirkungsstarkem Handeln vor - einfach machen!

An Demonstrationen teilnehmen ist nach seiner Meinung wichtig, um sich emotional zu stärken, sich hinsichtlich eines Anliegens in einer großen Gruppe verbunden zu wissen. Konkretes Handeln braucht eher eine sehr kleine Gruppe, die Gestaltungs- oder Veränderungsideen entwickelt, dann andere begeistert, mitzieht und die Umsetzung auf breite Füße stellt. Das Prinzip des Lokalen hält er dabei für sehr wichtig. Eine Dorfgemeinschaft, oder auch ein "Dorf" in der Stadt kann sich aufgrund der überschaubaren Größe zum Handeln, zu Veränderung motivieren lassen. "Wenige bewirken viel" ist sein Credo. Der einzige Bäcker, die einzige Kneipe im Ort schließt, die Initialzündung zur Gründung einer Dorfgenossenschaft geht von wenigen Menschen aus. Auch das in Köln bekannte Hövi-Land beschreibt er als so entstanden. Eindrucksvoll auch das Beispiel einer beherzten Initiative, aufgrund derer bei einer Stichwahl in einer thüringischen Stadt der ursprünglich erfolgreiche AFD-Kandidat unterlag und ein Bürgermeister des demokratischen Spektrums gewählt wurde.

"Die Bedeutung selbstbewusster Subjekte für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft wird chronisch unterschätzt", so seine Aussage, und er schreibt eben diesem Engagement eine zentrale politische Bedeutung zu, es sei eine Keimzelle der Demokratie. Für wichtig hält er, Allianzen zu schmieden über die kleine Gruppe hinaus. Parteien seien elementar wichtig im politischen Diskurs. Auch hier geht es natürlich um Allianzen. Scharf kritisiert er die zunehmende Abwertung von Politik und politisch aktiven Personen.

Ich habe mich gefreut, unser Pfarrbriefthema "Einfach machen" hier so breit entfaltet zu finden.

Ingrid Rasch

Jürgen Wiebicke: Erste Hilfe für Demokratieretter, Verlag Kiepenheuer und Witsch

Das Buch ist in der KÖB St. Severin entleihbar.

Jan Loffeld:  Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt 

Jan Loffeld, Professor für praktische Theologie in Utrecht, geht anhand von soziologischen Untersuchungen und statistischen Erhebungen der Frage nach, warum immer mehr Menschen ohne Religion leben, warum sie nicht mehr die Fragen haben, die der Glaube beantworten will. 

Er stellt fest, dass viele Menschen in ihrem Leben nicht mehr einen umfassenden Sinn suchen. "Sinn wird als selbst gemacht erlebt und vereinzelt erfahren." Leben spielt sich in Episoden ab, soll Spaß machen. Dahinter steht ein verändertes Verständnis von dem, was ein erfülltes Leben ausmacht.

Dies erklärt die stille Abwanderung selbst bei einem ansprechenden Gemeindeleben. Sie ist weitgehend keine individuelle Wahl aus kircheninternen Gründen (schlechte Predigten, Reformstau, etc.) sondern eine "Aufmerksamkeitsverschiebung": Es gibt Wichtigeres als den Gottesdienst. 

Befragungen zeigen, "dass nur noch eine Minderheit, 20 bis 25 Prozent, sich Gott als Person vorstellt." Für die Mehrheit "ist Gott eine Energie, ein Etwas, wenig konkret bestimmbar und erfahrbar". Diese "Verflüssigung" Gottes ebnet den Weg zur persönlichen Irrelevanz des Glaubens als existenzdurchdringende und lebensbestimmende Richtgröße (Detlev Pollack, Soziologe). Kirche selbst wird im besten Fall zu einer Ritual- und Wohlfahrtsorganisation.

Diese Indifferenz dem Religiösen gegenüber ist zunehmend und gilt flächendeckend. 56 Prozent der Deutschen wissen mit Religiosität, gleich welcher Art, nichts mehr anzufangen, und ihr Durchschnittsalter ist niedrig.

Die Kirche ist angesichts dieser Phänomene völlig ratlos. Die schmerzhafte Erfahrung lautet, dass sich die Entkirchlichung selbst bei einem funktionierenden Gemeindeleben nicht stoppen lässt.

Für Jan Loffeld erlebt die Kirche ihren Karsamstag. Das heißt konkret: "Wir kommen um die Erfahrung der Leere und des notwendigen Abschieds nicht herum. Noch lässt sich Leere verschleiern oder verzieren, denn es ist in der Kirche und mit der Kirche immer noch sehr viel los. Aber auch Aktivitäten ... können ein Ausweis der Hilfslosigkeit sein." Wir müssen akzeptieren, dass Gott einer sein kann, "der die Welt frei lässt, indem auch außerhalb des Glaubens an ihn wirkliches Leben möglich ist."

Vor lauter Ritualen, ethischen Forderungen und Aufrufen zur Weltverbesserung ist zu wenig bewusst, dass GOTT das Alleinstellungsmerkmal der Kirche ist. IHN vorrangig und ausschließlich zu verkündigen, heute vielleicht gerade durch das Erzählen eigener Erfahrungen mit ihm, scheint die Aufgabe unserer Zeit. Etwas anderes blieb auch den Jüngern an ihrem Karsamstag nicht.

Barthel Schröder, Diakon

Jan Loffeld: Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt, Verlag Herder

Das Buch ist in der KÖB St. Severin entleihbar.