Tafel-Begegnungen  

Mehr als hundert Menschen begegnet Beate B. an jedem Montagnachmittag. Seit dem Start der Tafel-Ausgabe in der Kartäuserkirche im November 2021 ist die pensionierte Lehrerin dabei - gemeinsam mit vielen anderen ebenfalls ehrenamtlich engagierten Frauen und Männern. Sie lässt an ihren Erfahrungen teilhaben und beschreibt zugleich den organisatorischen Ablauf dieser ökumenisch (Kartäuserkirche und St. Severin) verantworteten Ausgabestelle.

Der Kapitelsaal der Kartäuserkirche verwandelt sich an jedem Montag in einen bunten, lebendigen Marktplatz – Tische sind mit Obst, Gemüse und Brot bestückt, dazu gekühlte Frischware und Hygiene-Artikel. All das wird nach Anlieferung durch die Fahrzeuge der Tafel sortiert und aufgebaut. Da begegne ich den Kolleginnen und Kollegen der ersten "Schicht" – bei aller Anstrengung ist die Stimmung heiter, und es gibt genug Raum zum Erzählen und Kaffeetrinken. Dieser Start und das entspannte Mitein-ander ist mir wichtig. Aus den anfangs noch ein wenig distanzierten Begegnungen sind inzwischen manche freundschaftliche Verbindungen entstanden.

Die ersten Besucherinnen und Besucher der Tafel kommen lange vor der Ausgabezeit, der Innenhof der Kartäuserkirche lädt bei schönem Wetter ein zum Sitzen um den mit Kräutern und Rosen gesäumten Rasen. Aber auch der Kirchenraum kann zum Warten genutzt werden. Bevor der Marktplatz geöffnet wird, erhalten die Wartenden eine Nummer, die – verteilt nach dem Zufallsprinzip – die Reihenfolge des Zutritts bestimmt. Gemeinsam mit einem Kollegen bin ich zuständig für das Verteilen dieser inzwischen hundert "Losnummern". Und anschließend stehen wir am Eingang zum Kapitelsaal, begrüßen alle und halten auf einer Liste fest, wer gekommen ist. 

Viele der Besucherinnen und Besucher kommen seit dem ersten Tag, die Anzahl der Tafel-Nutzer ist kontinuierlich angewachsen; seit Beginn des Ukrainekrieges verstärkt durch Menschen, die von dort geflüchtet sind.

Begegnungen sind manchmal flüchtig, oft aber auch intensiv. Da ist die zierliche alte Dame mit dem weißen Pagenkopf, die sich immer noch freut wie ein junges Mädchen, in die Höhe hüpft und sich bedankt, wenn sie eine gute Nummer bekommt. Hat sie eine hohe Zahl und muss entsprechend lange warten, versuchen wir sie zu trösten. 

Viele Menschen haben wir mit der Zeit kennengelernt und wissen ihre Namen. Namentlich begrüßt zu werden, das ist wohl für alle ein Zeichen von Wertschätzung. Und immer wieder ergeben sich bei der kurzen Begegnung am Eingang Gespräche. 

Da ist der gebildete alte Herr, der uns um Rat fragt wegen eines Angebots von einem Verlag, bei dem er eine geschichtliche Ausarbeitung veröffentlichen könne. Im Kleingedruckten entdecken wir, dass er zu hoher Eigenzahlung verpflichtet werden soll – und müssen ihm leider abraten.

Und es kommt die ukrainische Mutter mit ihrem sportbegeisterten Sohn, der Gymnasialschüler ist. Mit ihm konnte ich nicht nur über seine Schullaufbahn und die sportlichen Ambitionen, sondern auch über die Zerstörung seiner Heimatstadt und seine beiden älteren Brüder sprechen, die in der Welt verteilt leben. 

Vor eine besondere Herausforderung stellt uns die Begegnung mit gehörlosen Menschen aus der Ukraine – dank einer speziellen Handy-App können wir uns verständigen und begegnen uns mit freundlichen Gesten. Schwierig war dagegen anfangs die Begegnung mit einem Ukrainer, der unsere Tafel mit einem Kasernenhof verwechselte und einen lautstark fordernden Ton an den Tag legte. Nach mehreren, teilweise nachdrücklichen Gesprächen mit ihm hat er sich mittlerweile in einen entspannten, fast durchweg freundlichen Menschen verwandelt, der uns ab und zu beim Dolmetschen hilft. 

Eindrucksvoll sind die Begegnungen mit zwei schwarzen Schwestern. Hochgewachsen, mit tadelloser Haltung, in schöne bunte Gewänder gekleidet, manövrieren sie versiert und stolz ihre Kinderwagen durch die Tür, sind uns freundlich zugewandt, fragen uns, wie es uns geht und es entspinnt sich ein kleines Gespräch. Auch einige andere bringen ihre Kinder mit und wir freuen uns, dass wir schnell mit ihnen in Kontakt kommen.

Und auch das geschieht: Eine Kundin schenkt jedem der Ehrenamtler eine Rose zum Dank für die gute Atmosphäre bei der Tafel und für unser Engagement – diese überraschende Geste berührte uns alle sehr.

Diese bunten und vielfältigen Begegnungen – die Reihe ließe sich noch weiter fortsetzen – bereichern und vertiefen unser Leben, ich möchte diese Aufgabe nicht mehr missen.

Beate B. bei der Tafel-Ausgabe im Kapitelsaal (c) SilviaBins

Beate B. bei der Tafel-Ausgabe im Kapitelsaal