Tröstende Begegnungen

Seit einigen Jahren ist Marianne Ricking Beerdigungsbeauftragte in unserer Pfarrei. Sehr oft spricht sie in dieser Rolle mit Menschen, zu denen sie Kontakt hatte in den vierzig Jahren ihrer Tätigkeit in der Kindertagesstätte St. Josefshaus mitten im Veedel.

Menschen in unterschiedlichen Lebens-situationen zu treffen, die wir lange nicht gesehen haben und wiedererkennen, ist etwas sehr Schönes, kann ein kleines Highlight sein. Begegnung ist mehr, ist noch einmal eine andere und intensivere Form. Das erfahre ich, wenn ich Menschen besuche anlässlich eines Trauergespräches. Diese besondere Begegnung ermöglicht, da zu sein und dem Anderen das Gefühl zu geben: Diese Zeit gehört uns, wir geben der Trauer Raum. 

So ist es im Gespräch mit Rainer. Er sitzt mir mit seinen beiden jugendlichen Kindern gegenüber; seine Frau, die Mutter der Kinder, ist nach einem langen Krebsleiden viel zu jung verstorben. Jedes Wort scheint zuviel an diesem Nachmittag, wir sitzen und schweigen gemeinsam, und doch spüren wir eine starke Verbundenheit untereinander. Erst nach und nach beginnt ein Gespräch, zunächst nur in einzelnen Worten. 

Wie waren die letzten Monate, auf welche Weise konnte jeder von ihnen Abschied nehmen; konnte das Unaussprechliche des bevorstehenden Todes ausgesprochen werden? 

Das Besondere dieser Gesprächs-und Begegnungssituation ist unser langjähriges Kennen, beide Kinder waren im Kindergarten. Es gab Begegnungen, die oft und an unterschiedlichen Orten stattfanden. Wir können uns im Gespräch gemeinsam erinnern: "Weißt du noch, als die Mama euch abgeholt hat; weißt du noch, als wir gemeinsam auf dem Koki-Wochenende (Kommunionkinderwochenende) waren?" Erinnern tut gut, das konnten wir alle in dieser Situation erfahren. Trauer um einen lieben Menschen lässt zu, dass wir in der Erinnerung um diesen Menschen lachen und weinen dürfen. Das ist Leben, das schafft Begegnung und ermutigt zum Weiterleben.

Anders ist die Begegnung mit Herrn O., dessen Frau verstorben ist. Er erzählt mir seine Geschichte vom gemeinsamen Alt- und Älterwerden, von den kleinen Abschieden, die sie täglich in ganz kleinen Schritten vollziehen mussten. "Ich habe alles getan, denn was meine Frau betraf, betraf mich ja ebenso. 61 Jahre waren wir verheiratet," erzählt er mir mit Tränen in den Augen. "In der Severinskirche haben wir geheiratet und haben nie unser Veedel verlassen. Wir sind hier groß geworden, zur Schule gegangen, haben eine Ausbildung gemacht und haben hier unseren Beruf ausgeübt."

Ich selber spüre beim Zuhören, wie sehr mich selbst diese Situation anrührt. Hier findet Begegnung statt, die nicht der vielen und großen Worte bedarf.

Begegnung braucht ein Gegenüber und ist auch möglich, wenn es nicht die gemeinsame Erinnerung gibt. Ich stehe vor dem offenen Grab der verstorbenen Maria K. und nehme Abschied. Mit dabei ist eine kleine Gruppe von Personen, wir alle begleiten die Verstorbene, von der wir nichts wissen außer dem Geburtsdatum – 1930 – und dem Geburtsort Breslau. Uns ist es wichtig, auch hier einen Ort zu schaffen, an dem Begegnung möglich ist. Begegnung mit der verstorbenen Maria K. Mit einem Brief, den ich verfasst habe und in dem ich sie anrede: "Liebe Maria K." nehmen wir sie hinein in unsere Mitte und schaffen eine Möglichkeit der Begegnung ganz anderer Art. Wir erinnern uns an den Menschen der hier gelebt und sicher in seinem Leben viele Begegnungen mit Menschen geteilt hat. 

Begegnungen lassen das Vergangene, lassen Totgeglaubtes lebendig werden. (c) SilviaBins

Begegnungen lassen das Vergangene, lassen Totgeglaubtes lebendig werden.