Absichtslos …

Bärbel Ackerschott kommt mit dem Fahrrad ins Severinsviertel – vor kurzem hätte sie noch ihren Hund mitgebracht, eine wichtige "Größe" in ihrem Leben – sie trauert ihm nach … Vor der telefonischen Verabredung zum Gespräch hat sie den weiter unten auf dieser Seite stehenden Text über Max geschickt. "Der enthält die wichtigsten Dinge zum Thema Drogenabhängigkeit und Absichtslosigkeit", sagt die ehemalige Leiterin des Notels (Notschlafstelle für obdachlose Drogenabhängige).

Im Auftrag der Ordensgemeinschaft der "Spiritaner" hat die Diplomsozialarbeiterin das Konzept für die Arbeit einer Notschlafstelle für drogenabhängige Menschen geschrieben. Am 2. Februar 1990 wurde die Einrichtung eröffnet. Ihre Erfahrungen aus der vorangehenden Arbeit in einer Justizvollzugsanstalt und bei der Aidshilfe hat sie dazu ebenso eingebracht wie ihre kaufmännische Ausbildung. Das Konzept sollte der Regel des Spiritaner-Ordens entsprechen: "Wir tun die Arbeit, die sonst niemand tun will."

Ziel war es, ein Überlebensangebot für obdachlose drogenabhängige Menschen zu schaffen, ein Angebot, das Verwahrlosung verhindert: Ein Bett, Wäsche, Duschmöglichkeit, eine warme Mahlzeit, saubere Spritzen, Ausgabe von Kondomen …

Tragend für die Arbeit war die gewachsene Verbindung zur Kirche Maria Lyskirchen und zur Diözese. Pfarrer Mathias Schnegg hat nicht nur die Ortsgemeinde intensiv mit einbezogen, sondern auch selbst ehrenamtlich in der Einrichtung mitgearbeitet. "Diese Verbindung zur Ortsgemeinde war immer sehr tragend, und es kann einem Ordensprojekt nichts Besseres passieren, als in der Ortskirche verankert zu sein," betont Ackerschott. Eine gute Mischung von Fachlichkeit und ehrenamtlichem Engagement war in dieser Arbeit besonders wichtig. 

Im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass es einen Platz für kranke Menschen braucht, die nicht ins Krankenhaus müssen, aber auch nicht krank auf der Straße leben können – so wurden zu den zehn Notschlafplätzen sechs Plätze in einer Krankenwohnung geschaffen.
Auf die Frage, wie es gelingt, diese anspruchsvolle Arbeit über so viele Jahre zu schaffen, nennt sie drei Punkte: 

  • Ein gutes soziales Netz – "für mich besonders wichtig die Verbindung zu befreundeten Familien mit Kindern, die neugierig und lernbegierig ihr Leben entfalten wollten."
  • Eine gesunde Ernährung und genug Bewegung. "Vor 25 Jahren habe ich mir einen Hund angeschafft, das war mein 'personal trainer' – da durfte und musste ich regelmäßig an die Luft."
  • Spiritualität – "eine lebendige Beziehung zum Auferstandenen und natürlich eine Gruppe von Menschen, mit denen ich meinen Glauben teile, gemeinsam Gottesdienst feiern kann, die mich ermutigen und korrigieren."

Seit 2022 ist Bärbel Ackerschott im Ruhestand.

┬®_2523 (c) SilviaBins

Absichtslosigkeit 

Max, Du bist 18 Jahre alt, obdachlos und drogenabhängig.
Du stehst in der Notel-Tür, unsicher, fragend, fordernd.
Was Du jetzt von mir willst, ist ein Bett, etwas zu essen, vielleicht eine Dusche
Und vor allem Deine Ruhe, um Deinen Rausch zu genießen.
Ich sage Dir, dass ich Dir all das gebe, nur an ein paar Regeln musst Du Dich halten,
damit das Miteinander gelingt.

Du bist willkommen, so wie Du bist. 
Ich frage nicht nach Deinem bisherigen Leben oder nach Deinen Plänen für die Zukunft.
Ich sage Dir nicht, dass Du mit den Drogen aufhören musst, weil Du es entweder schon weißt oder es nicht hören willst.
Ich akzeptiere, dass Du Dein Leben heute so lebst, wie Du es lebst.
Ich gebe Dir saubere Spritzen, damit Du Dir keine Infektion holst.
Manchmal kann ich das kaum aushalten, wenn ich sehe, wie die Sucht Dich zerstört.
Wie gerne würde ich mit Dir den Weg gehen, der in die Freiheit führt. 
Aber ich weiß, dass Du es wollen musst.
Mein Wollen reicht nicht, nähme Dir Freiheit, wäre für Dich sogar Bedrohung.
Siehst Du nicht, dass die Droge Dir alles nimmt?
Du hältst sie für Deinen besten Freund: Sie ist immer da, zuverlässig, sie belügt Dich nicht – 
und führt Dich in den Tod.

Was ich nicht zulassen kann ist, dass Du Dir selbst die Würde nimmst. 
Ich erlaube nicht, dass Du wie ein Schwein isst. Du musst duschen, wenn Du stinkst.
Ich nehme Dich ernst und will von Dir ernst genommen werden, 
Du darfst und musst sogar über die Regeln meine Zuverlässigkeit testen.
Um wirklich sicher zu gehen, riskierst Du immer wieder ein Hausverbot.
Und in all dem gehst Du mir unter die Haut, krabbelst bis zu meinem Herzen und bleibst.

Max starb im Alter von 21 Jahren in unserer Krankenwohnung; 
er erstickte an seinem Erbrochenen.

Guardini sagt, Absichtslosigkeit sei eine Tugend. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber ich weiß, dass Dich letzten Endes nichts anderes als Absichtslosigkeit weiterbringt, weil sie Reich Gottes ist, mitten unter uns.

"Es gibt nicht leicht eine größere Kraft als die Absichtslosigkeit … 
Nichts fordern und nichts verweigern" (Guardini) 

Bärbel Ackerschott