Achtung, Würde und Respekt - Begegnung im Johanneshaus

"Haben Sie vielleicht etwas Kleingeld übrig?" Vor mir steht jemand, einen alten Rollkoffer und ein paar mit persönlichen Habseligkeiten gefüllte Plastiktüten an der Hand. Hier im Veedel keine ungewöhnliche Situation, die viele sicher schon selbst erlebt haben. Und vielleicht haben Sie auch schon einmal in dieser Situation das Johanneshaus in der Annostraße als Hilfe- und Anlaufstelle genannt. "Hier erhalten Sie einen Schlafplatz für die Nacht, eine Mahlzeit, eine warme Dusche und bei Bedarf auch eine einfache medizinische Versorgung."

Steht man am späten Nachmittag vor der unscheinbaren grauen Toreinfahrt des Johanneshauses, erwartet einen keine lange Schlange von obdachlosen Menschen, die auf Einlass in die Notschlafstelle warten, wie es noch in den 1980/90er Jahren häufig der Fall war.

 

Welche Art von Hilfe oder Unterstützung können Menschen heute tatsächlich hier erwarten? Was "passiert" hinter der Toreinfahrt?

Um diese Frage(n) zu beantworten habe ich die Gelegenheit, mit Thomas Sökefeld, der seit über 40 Jahren im Johanneshaus als Sozialarbeiter und inzwischen als Fachbereichsleiter tätig ist, das Haus kennenzulernen  und einen Teil der Arbeit, die dort geleistet wird.

Zweibettzimmer in der Notaufnahme (c) privat

Zweibettzimmer in der Notaufnahme

Akut wohnungs-/obdachlos

Ich erfahre, dass in der Notaufnahme heute immer noch akut wohnungslose Menschen kostenfrei aufgenommen und versorgt werden. Begrenzt auf 15 Schlafplätze, in Zwei- und Vierbettzimmern, ist ein Aufenthalt allerdings auf drei Tage beschränkt. Mit der Aufnahme ist immer ein Beratungsangebot verbunden, und je nach Bedarf und/oder Wunsch der Menschen eine anschließende Weitervermittlung im sozialen Hilfesystem.

Der weitere Weg durch das Haus führt uns über einen großen Baustellenbereich, wo die alten Aufenthaltsräume, sanitären Anlagen und Zimmer über mehrere Etagen aufwändig kernsaniert werden, zur Kleiderkammer und zu den Räumen des mobilen medizinischen Dienstes. Hier bietet ein Arzt oder eine Ärztin des Gesundheitsamtes jeden Vormittag eine Sprechstunde für obdachlose/wohnungslose Menschen an, einmal in der Woche auch eine psychiatrische Sprechstunde.

Im medizinischen Bereich ist eine nachhaltige Verbesserung der gesundheitlichen Situation über einen Hilfeplan im Fokus der Betreuung. Dies bedarf allerdings einer engen und vertrauensvollen Begleitung der Betroffen, und einer professionellen Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen medizinischen Diensten, dem Sozialdienst im Haus und dem Sozialamt der Stadt Köln als Sozialhilfeträger. Bei besonderen psychischen Problemen wird auch eine Einbindung der Klinik in Merheim und inzwischen auch der Klinik Alteburger Straße möglich.

Unterwegs im Haus und im Gespräch mit Thomas wird mir langsam klar: Schon diese auf den ersten Blick einfache "Basishilfe" - die Sicherung der Lebensgrundlagen - wie es im Leitbild der Einrichtung formuliert ist - hat es in sich. Die Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen - oft negativen - Lebenserfahrungen von Ausgrenzung und Ablehnung hier an. Meist auch in Kombination mit einer psychischen, physischen und sozialen Belastung und häufig noch von einer Alkohol- und Suchtproblematik begleitet. Daher ist nach den ersten Kontakten in der Notaufnahme der Aufbau von Vertrauen und eine intensive Beziehungsarbeit die Grundlage für jede Form der weiteren individuellen und bedarfsgerechten Unterstützung, die hier angeboten wird.

Wohl sortiert: Die Kleiderkammer (c) privat

Wohl sortiert: Die Kleiderkammer

Besondere soziale Schwierigkeiten – Haftstrafe, Jobverlust, finanzielle Not, Schulden, oft auch psychische Probleme, Einsamkeit und fehlende soziale Kontakte …

Bei unserem weiteren Weg durch das "Labyrinth" von Fluren und Übergängen in andere Haus- und Bewohnerbereiche und mit einer großen Anzahl an Zimmern wird mir klar, dass das Haus ein wichtiger Wohn- und Bezugsort für viele ursprünglich wohnungslose Menschen ist.

Eine feste Wohnung oder ein Zimmer zu haben ist ein erster grundlegender Schritt, um einen Weg aus einer scheinbar hoffnungslosen sozialen Situation zu finden. 48 Zimmer stehen in der Reso-Abteilung (Abteilung mit Hilfeschwerpunkt Resozialisierung) im Johanneshaus zur Verfügung. Wer trotz aller Schwierigkeiten noch eigene Ressourcen hat, und auch den Wunsch nach Veränderung seiner Situation signalisiert, wird hier individuell unterstützt und begleitet. Die Hilfen sind so umfassend, wie auch die Probleme der Menschen sind. Von der Grundversorgung im Haus über Sport und Freizeitangebote, Behördengänge, Schuldnerberatung, Arbeitssuche, Suchtberatung, oder auch Hilfe bei psychischen Problemen … wird diesen Menschen die Möglichkeit eröffnet, wieder ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Für Menschen, die sich eine gewisse Selbstständigkeit erhalten, oder schon die ersten erfolgreichen Schritte geschafft haben, stehen ungefähr 60 Plätze in vom Johannesbund angemieteten Einzelwohnungen oder Wohngruppen mit ambulanter Betreuung zur Verfügung. Leben Menschen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung noch in einer eigenen Wohnung und benötigen Unterstützung, kann diese über die Wiedereingliederungshilfe des Johanneshauses erfolgen.

Auch der Humor kommt nicht zu kurz. (c) privat

Auch der Humor kommt nicht zu kurz.

"Wer schon alles hinter sich hat", so Thomas zum Wohnbereich "Annohaus": langjähriger Drogen- und/oder Alkoholkonsum, psychische Probleme, chronische Erkrankungen, körperliche Beeinträchtigungen, altersbedingte Beeinträchtigungen …

Mit 145 Zimmern bildet der Wohnbereich des "Annohauses" den größten Teil der Einrichtung hier vor Ort. Hier leben Menschen, die längerfristig oder dauerhaft auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Auch ältere Wohnungslose, die in der Lebenswelt von „normalen“ Altenheimen nicht zurechtkommen, können hier in einem geschützten Umfeld, soweit möglich, ein selbstbestimmtes Leben führen. Hier besteht die Möglichkeit einer hauswirtschaftlichen, pflegerischen und besonderen medizinischen Betreuung. 

 

"Ich möchte abstinent und ohne Drogen leben und wohnen."

Auch dieser Wunsch hat einen eigenen Wohnbereich: das Trockendock. 16 Menschen können hier in einem geschützten Rahmen mit eigenen Zimmern und zentralen Aufenthalts- und Küchenbereichen ihre eigenen Abstinenzerfahrungen machen. Auch dieser Prozess der Bewohner wird bei Bedarf individuell oder in Gruppen sozialtherapeutisch begleitet.

 

Reden wir mal kurz über Geld.

Ich erfahre, dass die Plätze und die Versorgung in der Notaufnahme über eine pauschale Zuweisung der Stadt Köln finanziert sind. Die individuelle Unterkunft, Verpflegung und weiteren persönlichen Bedarf zahlen die Bewohner "selbst" aus ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, z. B. Sozialleistungen, Renten oder auch Arbeitseinkommen. Weitergehende Unterstützungsangebote werden in Abstimmung mit den Sozialbehörden finanziert, sofern die Betroffenen einen Anspruch gemäß aktueller Sozialgesetzgebung haben.

Der Verstorbenen wird gedacht. (c) privat

Der Verstorbenen wird gedacht.

Konflikte – Grenzen

Dass das Zusammenleben der Bewohner trotz professioneller Betreuung durch die Mitarbeitenden nicht immer konfliktfrei ist, liegt auf der Hand.  Auch die teilweise Verdrängung und Verlagerung der offenen Drogenszene aus dem Bereich am Neumarkt in die angrenzenden Viertel macht sich im Johanneshaus bemerkbar. Thomas merkt an, dass Drogenhandel im Johannes-haus nicht geduldet wird. Menschen, die nicht bereit sind, sich hieran zu halten, müssen die Einrichtung und die vereinbarten Maßnahmen verlassen.

 

Flexibles Handeln

Wie schaffen es die Fachkräfte, mit den großen Herausforderungen in dieser Arbeit umzugehen, klar und verbindlich zu agieren, zugleich zugewandt und respektvoll die Menschen so anzunehmen wie sie sind – genau das erlebe ich bei meinem Gang durch das Haus. Thomas dazu: "Wir hinterfragen  gemeinsam im Team immer unsere Arbeit und unser Verständnis der Situationen. Wir handeln grundsätzlich untereinander aus, wie wir unsere Arbeit mit den Menschen ausrichten."
Zurück auf der Straße vor der Toreinfahrt hat sich mein Blick auf die Menschen, die hier leben und arbeiten verändert. Sich den Menschen zuwenden, sie annehmen wie sie sind und ihnen mit Respekt begegnen – nicht nur im Johanneshaus, auch auf der Straße im alltäglichen Miteinander – damit kann ich, kann jeder einen Beitrag zu einem friedvollen Miteinander leisten.

Michael Wissen

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