Flavia Nobili, Notärztin bei der Feuerwehr Köln hat mit Anke Lutsch von der Pfarrbriefredaktion über ihre täglichen Einsätze und Erfahrungen im Dienst gesprochen.
Anke Lutsch: Wie häufig kommst du im Dienst mit obdach- oder wohnungslosen Patienten in Kontakt?
Flavia Nobili: Als Notärztin habe ich im Vergleich zur RTW-Besatzung insgesamt seltener direkten Kontakt zu obdach- oder wohnungslosen Menschen. ( Anm. d. Redaktion: Bei einem medizinischen Notruf wird zuerst ein Rettungswagen mit Notfallsanitätern geschickt. Bei lebensbedrohlichen Zuständen wird zusätzlich ein Notarzteinsatzfahrzeug mit einer weiteren Rettungskraft alarmiert.) Wenn ich dazu komme, handelt es sich meist um Notfälle, bei denen Passanten eine vermeintliche Bewusstlosigkeit melden. In solchen Fällen wird automatisch der Rettungsdienst inklusive Notarzt alarmiert, unabhängig davon, ob tatsächlich ein lebensbedrohlicher Zustand vorliegt.
Oft stellt sich dann heraus, dass die Personen einfach schlafen. Für Außenstehende ist das aber schwer einzuschätzen, was natürlich nachvollziehbar ist. Trotzdem würde es im Alltag helfen, wenn Passanten sich trauen würden, kurz das Gespräch zu suchen, bevor der Notruf gewählt wird.
Wie häufig ich mit obdachlosen Menschen in Kontakt komme, hängt außerdem stark vom Einsatzgebiet ab: In der Innenstadt deutlich häufiger als beispielsweise in Weidenpesch.
Welche besonderen organisatorischen Herausforderungen begegnen dir dabei?
Eine Herausforderung ist oft, dass bei obdachlosen Personen wichtige Informationen fehlen, zum Beispiel medizinische Unterlagen oder eine Krankenversicherung. Das erschwert die Einschätzung und Versorgung erheblich. Hinzu kommt, dass viele unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen oder psychisch belastet sind, was die Kommunikation und Behandlung komplizierter machen kann. Auch die Anschlussversorgung ist schwierig, weil keine feste Unterkunft oder verlässliche Anlaufstellen vorhanden sind. Viele Patient*innen begegnen uns immer wieder, ohne dass sich ihre Situation langfristig verbessert. Besonders problematisch wird es, wenn wir ein Überwachungsbett benötigen und in Köln kein Platz frei ist. Dann müssen wir die Menschen in Kliniken außerhalb der Stadt bringen, was für sie eine enorme Hürde darstellt, weil sie nach der Entlassung oft nicht wissen, wie sie zurückkommen sollen.
Gibt es Situationen, die dich besonders fordern oder Überwindung kosten?
Bei medizinischen Notfällen macht die Wohnsituation keinen Unterschied. Die Behandlung der Patient*innen ist gleich. Da geht es nur um die Person. Klar, manchmal sind die Gerüche unangenehm, aber wir tragen Schutzkleidung, Handschuhe und FFP2-Masken. Das gibt uns eine gewisse Sicherheit.
Es geht allein um die Person. Da muss ich alles andere ausblenden.
Belasten dich Härtefälle?
Ich bin seit fünf Jahren als Notärztin tätig. Einige Einsätze gehen mir schon sehr nah, da hilft ein Gespräch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Da ich ja nie alleine arbeite, habe ich immer direkt Ansprechpartner. Besondere Fälle werden dann im Team nachbesprochen. Es gibt aber auch Hilfe beim psychologischen Dienst der Stadt Köln.
Es gibt Situationen, denen wir als Rettungskräfte nicht gewachsen sind, dann müssen wir uns Unterstützung bei der Polizei holen.
Meistens kommt dann schon der nächste Einsatz, da bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken.
Hast du den Eindruck, dass die Anzahl der Einsätze bei obdachlosen Patienten größer geworden ist?
Wie gesagt, es kommt auf das Viertel an. In der Innenstadt ist die Zahl deutlich angestiegen. Das frustriert schon etwas, wenn ich in einem Dienst immer wieder "zu einer bewusstlosen Person" im Hauptbahnhof muss.
Leider ist es oft so, dass ein früheres Handeln meinen Einsatz verhindern könnte. Aber für viele Menschen ist die Hemmschwelle sehr groß, sich Hilfe zu holen. Oder es ist genau das Gegenteil, und wir werden immer wieder gerufen, weil die Patient*innen denken, dass wir sie mit Ersatzdrogen usw. behandeln können.
Manchmal kommen wir zum Einsatz, aber die Person will nicht behandelt werden. Nicht jeder möchte Hilfe. Wir werden auch schonmal beschimpft. Das müssen wir dann auch aushalten.
Hat deine Arbeit deine persönliche Einstellung zu sozialer Ungleichheit oder Armut verändert?
Ich bin sehr demütig geworden. Es geht uns sehr gut. Anfangs war es schwierig zu sehen, wie die Menschen teilweise leben müssen. Aber ich bin dankbar für meinen Beruf und für die Chance helfen zu können.