Safety first - oder?

Kindern in der Erziehung Schutz und Sicherheit vermitteln und zugleich Freiräume schaffen, damit sie neugierig und selbstbewusst die Welt zu erobern – mit diesem Spagat hat Anke T. ganz besondere Erfahrungen gemacht.

Als ich anfing, mich mit der Frage zu beschäftigen, was das Thema Sicherheit mit dem Aufwachsen von Kindern zu tun hat und überlegte, wie das bei unseren Kindern gewesen ist, habe ich gemerkt, dass ich diese Frage gar nicht so schnell und leicht beantworten kann. Besonders in unserem speziellen Fall: Unsere ersten beiden Kinder sind 2001 und 2004 geboren, zwei weitere 2011 und 2013. So liegen also zwischen dem ersten und dem zuletzt geborenen Kind 12 Jahre. 

Bei den beiden ersten Kindern waren wir Eltern Anfang 30 und unsere Vorstellung von "Sicherheit" war damals tatsächlich eine andere als heute. Natürlich war und ist auch heute noch unser größter Wunsch für die Kinder, dass sie selbstständig werden, ihr Leben eigenständig und selbstbewusst in die Hand nehmen. Damals waren wir uns "sicher", dass unsere Kinder schon sehr früh selbstbewusst und eigenständig durchs Leben gehen werden, wir wussten ja, was sie schon alles konnten und was wir ihnen gezeigt und beigebracht hatten. Mit 30 hat man aber auch eine durchweg "lockerere" Vorstellung von den Dingen. Zudem hatten wir von keinerlei Angstmachenden oder negativen Erlebnissen in der Familie oder im Freundeskreis gehört. Man kann deshalb ruhig von einer gewissen Naivität sprechen, denn die meisten Dinge, die man in jungen Jahren noch nicht erlebt hat, stellt man sich schlichtweg gar nicht vor. Sämtliche Horrorszenarien, was den Kindern alles hätte passieren können, existierten in unserer Vorstellung noch nicht. 

Mit Mitte 40 und vielen Erfahrungen später verhält es sich da schon anders. Wenn wir aber damals zum Beispiel die Kinder schon im Kindergartenalter allein auf den Spielplatz gehen ließen, so wurde dies von meiner Oma meistens als "jugendlicher Leichtsinn" abgeurteilt. Oft fragte sie: "Hast du denn keine Angst um die Kinder, die sind doch noch so klein!" Gerne habe ich sie dann erinnert, dass sie selbst mit Anfang 20 Mutter von zwei Kindern war, die beide im Krieg zur Welt kamen und im Nachkriegsdeutschland; dem zerbombten Köln, aufwachsen mussten und auf Schuttbergen gespielt haben. Oder dass sie mit vier und sechs Jahren alleine von Bayenthal nach Riehl zu ihrer Oma fuhren. Plötzlich wurde ihr klar, dass sich ihr Verhalten damals gar nicht von meinem unterschieden hat, aber die Sicht auf die Dinge und das Gefühl für Sicherheit war mittlerweile und im Alter anders geworden.

Und somit wird auch klar, warum wir – als wir mit Anfang/Mitte 40 nochmals Eltern wurden – auch deutlich anders mit dem Thema "Sicherheit" in der Erziehung der jüngeren Kinder umgingen. Die Naivität ist nicht mehr da, man neigt schon sehr dazu, die Dinge immer "vorhersehen" zu wollen und weiß was alles passieren könnte. Im Wunsch, die Kinder zu schützen, kann sich eine permanente Angst entwickeln und das Bedürfnis, sie rund um die Uhr zu überwachen. Womöglich liegt es daran, dass wir mit den ersten beiden Kindern viel mehr Zeit verbrachten und wussten, was sie von uns gelernt hatten. Unsere eigene Selbstsicherheit ging damals hundertprozentig auf die Kinder über. Die beiden jüngeren Kinder dagegen sind beide bereits eineinhalb Jahre früher in die Kita gekommen als die älteren und waren dort auch stundenmäßig doppelt so lange untergebracht. Unsere ersten Kinder gingen mit drei bzw. dreieinhalb Jahren in den Kindergarten und blieben dort von 9.00 bis 12.30 Uhr. Es fehlte also zeitlich ein entscheidender Prozess in unserem gemeinsamen Verständnis von Selbstbewusstsein und Sicherheit. Wir konnten einfach nicht "mit Sicherheit" sagen, was die beiden Kleinen schon konnten – so trivial es sich auch anhören mag, weil wir es ihnen selber nicht beigebracht hatten, so wie ihren älteren Geschwistern.

Ein weiterer Aspekt ist die Veränderung durch die multi-mediale Welt, in der wir heute leben. Zum einen kann man heute schnell dazu neigen seine Kinder durch das "Tracken" von Uhren oder Handys in eine Art der Dauerüberwachung zu bringen, alleine weil es technisch möglich ist, immer zu wissen wo sich der Nachwuchs aufhält. Oder man kann kurz anrufen, um zu hören, ob alles ok ist. Man kann das vielleicht als "scheinbare Sicherheit" bezeichnen, denn wenn die Kinder nicht gelernt haben, sich in einer ungewöhnlichen oder nicht geübten Situation zurechtzufinden, kann das im schlimmsten Fall richtig gefährlich werden. Wenn die Uhr oder das Handy plötzlich leer sind oder nicht erreichbar, wird schnell klar, dass "Sicherheit" etwas ganz anderes bedeutet! Es heißt: Jeder möglichen, unvorhersehbaren Situation selbstbewusst entgegenzutreten und sicher sagen zu können‚ das schaffe ich, ich habe das geübt, ich behalte einen kühlen Kopf. Und das geht ganz einfach nur durch Übung, egal ob man sich in einem fremden Stadtteil befindet und eine Adresse sucht oder man am Bahnhof steht und sich orientieren muss, damit man in den richtigen Zug einsteigt. Solche Dinge muss man üben oder geübt haben, damit alle Beteiligten sicher sind, sonst ist die Angst auf Seiten der Kinder und Eltern riesengroß.

Uns und unseren jüngeren Kindern hat zum Glück das Wissen geholfen, die Dinge bei den beiden älteren Geschwistern schon einmal erfolgreich gemeistert haben. Wir waren keine unsicheren Anfänger mehr. Trotzdem müssen wir auch heute oft beruhigend auf uns selber einreden und mit Sicherheit sagen: "Die können das schon allein".

Sicher begleitet, von Eltern und Geschwistern, ist die Jüngste bei der Erstkommunion. (c) SilviaBins

Sicher begleitet, von Eltern und Geschwistern, ist die Jüngste bei der Erstkommunion.