Für Sie gelesen: "Mein Leben mit Martha"

Es geht in diesem Buch nicht nur um eine Freundschaft zwischen Menschen verschiedener Generationen, sondern auch um eine außergewöhnliche Lebensgemeinschaft:

Heinrich, den älteren, etwas unkonventionellen Herrn, lernt Martina als Kunden ihrer Buchhandlung kennen, die sie in einer Kleinstadt in Westfalen betreibt. Heinrich ist originell. Er liest viel, gibt sich sehr selbstbewusst, er übertreibt gern. Nach eigenen Angaben arbeitet er an "einem universalgeschichtlichen Werk", und er ist ein bisschen verlottert. Die beiden freunden sich an, und so lernt Martina auch Martha kennen, mit der Heinrich seit über vierzig Jahren zusammen lebt. Martha ist klug, phantasievoll und laut Heinrich lebt sie in einer "poetischen Verfassung" – eine Formulierung, findet Martina, die viel besser zu Martha passt als "sie ist dement".

Als Heinrich an Krebs stirbt, beschließt Martina, bei Martha einzuziehen und sie in ihrem Alltag zu unterstützen. Sehr einfühlsam erzählt sie von ihrem Leben mit Martha, von den Schwierigkeiten, die sich für sie daraus ergeben, von der Skepsis einiger Nachbarn, die Martha lieber in einem Heim sehen würden, die nicht einmal davor zurückschrecken, heimlich ins Haus einzudringen, um die "Zustände" fotografisch zu dokumentieren. Sie berichtet von Problemen mit Betreuern und Behörden, aber auch von der Hilfsbereitschaft, die ihr und Martha entgegengebracht wird.

Vor allem, und das macht die Lektüre von "Mein Leben mit Martha" so lesenswert, erzählt sie von der Freundschaft zwischen den beiden. Sie sind auf Augenhöhe, Martha lebt zwar scheinbar in ihrer eigenen Welt, aber sie nimmt oft sehr genau die Gemütslagen der Menschen wahr, denen sie begegnet. Martina gelingt es immer besser, Marthas Blick auf die Welt zu verstehen und zu deuten.
Manchmal humorvoll, immer empathisch erzählt die Autorin von den besonderen Hürden, aber auch von der großen Zuneigung der Freundinnen zueinander.

"Mein Leben mit Martha" ist als Roman angelegt, es ist kein Tatsachenbericht. Allerdings lebt auch die Autorin Martina Bergmann in einer Lebensgemeinschaft mit einer älteren Dame in "poetischer Verfassung". Ein literarischer Bericht also, und gerade diese Mischung macht "Mein Leben mit Martha" so empfehlenswert.  

Stefanie Manderscheid

Mein Leben mit Martha
Martina Bergmann / Eisele verlag
Das Buch ist in der KÖB St. Severin ausleihbar.

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Publik-Forum / Extra-Thema: 

Selbstfreundschaft – Sei gut zu Dir

Zufall ist bekanntlich das, was einem zufällt, und zufällig entdeckte ich dieses Extra-Heft mit dem Thema Selbstfreundschaft. Das Heft sei "eine Expedition in die inneren Welten der Freundschaft und des Mitgefühls mit uns selbst", heißt es im Editorial. So habe ich es bei der Lektüre tatsächlich empfunden.
Dreizehn Frauen und Männer haben in diesem Heft aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln das Thema ausgeleuchtet. Mit Freude und Gewinn habe ich alle Texte gelesen, die in prägnanter Kürze je nach der beruflichen Herkunft der Autorinnen und Autoren oder ihrer Lebenserfahrung besondere Schwerpunkte setzen. Aus der Vielfalt der Aspekte habe ich für mich selbst Anregungen gewonnen, wie ich Selbstfreundschaft wichtig nehmen und pflegen kann.

Ingrid Rasch