Zusammen ist man weniger allein

Welche Bedeutung hat das Thema Freundschaft für geflüchtete Menschen? Gefragt haben wir danach im "Caritas-Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht". Marcus Böhmer – systemisch-analytischer Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche – arbeitet in diesem Zentrum und lässt uns an seinen Erfahrungen teilhaben.

Wenn wir an Freundschaft denken, fallen uns Begriffe wie Miteinander, Verbindung, Gemeinsamkeit, Rückhalt, Anerkennung, das Teilen schöner Momente und gegenseitiger Respekt ein. Dasein für Andere, Zuhören und gegenseitige Ermutigung geben unserem Leben Sinn. In dem Gefühl nicht allein zu sein, suchen und finden wir Trost in schwierigen und herausfordernden Zeiten. Die Verbindung mit uns wichtigen Menschen, das Teilen von gemeinsamen Werten, Ideen und Zielen ist etwas Tragendes in unser aller Leben und gibt uns Hoffnung, wo wir sie brauchen.

All das ist für geflüchtete Menschen nicht (mehr) selbstverständlich. Geflüchtete, die wir in unserem Therapiezentrum begleiten und behandeln, werden in den Bindungen zu anderen Menschen vor eine immense Aufgabe gestellt. Vielfach mussten sie eine große Fülle an Abschieden und Verlusten erleben, und oft haben sie Gewalt-erfahrungen gemacht. Zugleich stehen sie unter einem großen Druck, sich in neuen Bedingungen einzufinden und sich anzupassen an die für sie schwer zu verstehende, neue Kultur. Alte Bindungen sind verloren gegangen und neue noch nicht entstanden. Flüchtlinge erleben oft das Gefühl, geteilt, unvollständig und leer zu sein, sind nicht selten in abgrundtiefer Trauer gefangen. Es fehlen ihnen die Menschen, die Orte, die Erinnerungen, die Kultur, die ganze Heimat.
Und es fehlen – vielleicht in noch viel stärkerem Maße – Teile dessen, was ihre bisherige Persönlichkeit ausgemacht hat. Die Sehnsucht nach der Heimat und nach dem Vertrauten bleibt bestehen trotz der wichtigen Erfahrung, hier in Schutz und Sicherheit zu sein. Sie haben viele Stärken und Fähigkeiten genutzt, um zu überleben, aber auch das Bewusstsein dieser Stärken kann häufig nicht die innere Leere füllen, die ihre Flucht bzw. die traumatischen Erlebnisse geschaffen haben.

Freundschaft ist wie ein "Schatz oder etwas Funkelndes", das manchmal viel Zeit und Vertrauen braucht, um entdeckt, freigelegt und gepflegt zu werden. Die Suche nach eben diesem Schatz zeigt sich in einem Bild, das ein junger Mann gestaltet hat in einer Sandspieltherapiesitzung. (Diese Therapieform ermöglicht, in einem durch den Sandkasten begrenzten Raum mit Figuren und durch das Gestalten des Sandes eine dem inneren Zustand entsprechende Welt aufzubauen und spielerisch kreative Veränderungsprozesse anzustoßen.)
Im Sand-Bild zeigt sich, dass die Flucht aus der Heimat und der Abbruch aller Beziehungen – einhergehend mit schlimmen Erfahrungen vor und während der Flucht – den jungen Mann in einem Tal haben ankommen lassen. Er sei, sagt er, jetzt zwar sicher, doch habe er alles und jeden, der ihm vorher wichtig gewesen sei, verloren. Aber nun erfährt er Unterstützung bei dem Wunsch, Menschen wieder vertrauen zu können, und er kann seine Stärken wiederentdecken. Damit gelinge es ihm, wie er feststellt, mehr und mehr, in den Hängen am Rand des Tales die funkelnden Momente guter zwischenmenschlicher Begegnungen zu sehen. Er bekomme die Hoffnung, aus dem Tal aufzusteigen, bald dazuzugehören und gute Freunde zu finden.     

 

Sandspieltherapie (c) privat

Viele der in Köln und Umgebung lebenden Flüchtlinge stammen aus unsicheren Herkunftsländern und haben sehr belastende Erfahrungen in Kriegs- und Krisengebieten und auf der Flucht machen müssen. Manche dieser Menschen sind traumatisiert und leiden nachhaltig unter seelischen und körperlichen Beschwerden.
Das Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht in Köln bietet seit 1985 traumatisierten Flüchtlingen (Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen) eine psychosoziale Anlaufstelle, in der sie auf der Grundlage einer sorgfältigen Bedarfserhebung und Diagnostik psychologische und soziale Beratung, Psychotherapie und Vermittlung in weiterführende Hilfen erhalten können.
Die Angebote sind kostenlos und vertraulich. Bei Bedarf wird mit speziell geschulten Dolmetscher*innen gearbeitet.

Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht
Spiesergasse 12, 50670 Köln, Tel. 0221 / 16074-0