Freundschaftserzählungen

"Den einen besten Freund habe ich nicht", sagt Roland P. "und wirklich gute Freunde sind es weniger als eine Handvoll, mehr geht wahrscheinlich auch nicht", ergänzt er bei unserem Treffen im Café.

Perfekt geschminkt und kostümiert als Rosa Funk ist er auf dem Weg zu einer karnevalistischen Veranstaltung im Düsseldorfer Landtag. Vorher besucht er noch seine Mutter im Seniorenzentrum. "Dort haben sicher alle Spaß, wenn ich so erscheine."

Sein Outfit hindert ihn nicht, ernsthaft und detailliert zum Thema Freundschaft Stellung zu nehmen. Gemeinsame Interessen und auch gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse verbinden über Jahre und Jahrzehnte, so sein Rückblick. Mit einer Freundin aus der Tanzschule, die er vor 55 Jahren kennenlernte, ist er heute noch intensiv verbunden, auch mit einem Ehepaar, das in USA lebt, ist er seit Studentenzeiten befreundet. Lange Zeitabstände zwischen den Treffen schmälern die Bindung nicht. Nachdenklich macht ihn, dass die engen Freunde allesamt weit weg wohnen, ob das es leichter macht, intensiv verbunden zu sein und zu bleiben?

Verlässlichkeit sei ein wichtiger Faktor für die Freundschaft, meint er, vor allem aber, dass man sich ohne Scheu auch mit Schwächen zeigen darf. Nicht zuletzt ist ihm wichtig, dass man einander im beiderseitigen Vertrauen korrigieren kann und darf. Freundschaften sind für ihn eine unerlässliche Ergänzung für das Gelingen seiner langjährigen Partnerschaft. Schmerzhafte Enttäuschungen in einer Freundschaft hat er auch erlebt, "aber das war selten, Gott sei Dank!"

Inna K. und ihr Mann Oleg wohnen seit Herbst 2022 in einer Wohnung der Pfarrgemeinde. (Ulrike Froleyks hat ihren Text übersetzt):

Nachdem der Krieg in der Ukraine begann, fanden mein Mann und ich Schutz in Deutschland. Zurück blieben unser Haus, unsere Familie, unsere Freunde und unser ganzes glückliches Leben. Der Anfang in Deutschland war schwer – die ersten Monate lebten wir in Neu-Ulm, lernten da Carsten und Katja kennen – sie wurden zum Lichtblick in dieser für uns schwierigen Zeit. Eigentlich dachte ich, Freunde gewinnt man in der Kinder- oder Jugendzeit, aber nicht später. Aber wir haben neue, gute Erfahrungen gemacht. Carsten und Katja halfen bei allem! Sie versuchten, uns von traurigen Gedanken abzulenken und unser Leben aufzuhellen. Wir verbrachten fast jedes Wochenende zusammen, gingen zu Konzerten, Ausstellungen, sie organisierten Picknicks und Spaziergänge, sie reisten mit uns durch Bayern. Eines Tages schlug Carsten vor, dass wir den Allgäuer Almabtrieb besuchen sollten. Das war ein unvergessliches Erlebnis! Es war sehr lustig und auch kurios. Das Kennenlernen der Bräuche und der Kultur Deutschlands hat viele positive Gefühle und Eindrücke hinterlassen.

Wir könnten viel über uns erzählen, aber die Hauptsache, die wir begriffen haben, ist, dass es wichtig ist, die Unterstützung von seelenverwandten Menschen in jeder Situation und an jedem Ort zu spüren. Die Worte des antiken griechischen Philosophen Plutarch sind für uns heute wahrer denn je: "Freundschaft verleiht den hellen Seiten des Lebens Vergnügen und Zauber und mindert das Leid."

Über eine Freundin aus Kindertagen spricht Heidemarie H.

Ich habe immer empfunden, dass mit diesem Begriff Freundschaft sehr inflationär umgegangen wird. Man lernt sich kennen, trifft sich öfter und schon ist es eine „Freundin“. Ich war mit diesem Titel immer sehr sparsam und habe unterschieden zwischen Bekannten, guten Bekannten, aber den Titel "Freundin" habe ich immer sehr hoch gehalten.

Und ja, ich habe in meinem langen Leben auch Freundschaften gehabt; manche haben nicht gehalten, andere haben eine andere Wertigkeit bekommen, durch Umzüge und damit weniger gemeinsamen Alltag.

Eine Freundin aber habe ich schon immer, und wenn ich von ihr erzähle, dann hat das Wort Freundin ein hohes Gewicht. Wir waren Sandkastenfreundinnen, sie hieß wie ich – Heidemarie, und unsere Mütter einigten sich darauf, dass ich Heide und sie Heidi gerufen würde. Sie war ein Jahr älter und passte auf mich auf. Ich vertraute ihr blind und wir teilten alles. Ich war klein und ängstlich, Heidi mutiger, und wenn sie es merkte, dann nahm sie mich an die Hand und alles war gut.
Dann zogen wir um, und Heidi und ich verloren uns. Nicht zuletzt, weil sie im Osten und ich im Westen wohnte. Jahrzehnte später habe ich sie gesucht und trotz eines anderen Namens durch Heirat auch gefunden. Ich habe sie dann besucht, und es standen sich nach vielen, vielen Jahren zwei Frauen gegenüber, die sehr gerührt, aber sich doch fremd waren. Nein, es ist nicht immer so wie in Romanen, es war nicht so, als wären wir nie getrennt gewesen, aber wir halten Kontakt und mögen uns.

Meine Freundin aber ist und bleibt die kleine Heidi, meine erste tiefe Freundschaft aus Kindertagen.

In Stein gemeißelt – Silvia B. macht eine Entdeckung.

Letztes Jahr habe ich beim Besuch meiner langjährigsten Freunde im Schwarzwald eine alte Erinnerung geschenkt bekommen.

Seit ich ein Baby war, sind wir in den Schwarzwald in Urlaub gefahren. Meine zweite Heimat habe ich den Schwarzwald immer genannt, und ich wollte einen der beiden Jungs vom Hof heiraten, um mich hier oben fest zu verwurzeln. Aber irgendwie hat das mit dem Verlieben ineinander nie geklappt.

Als meine Eltern eines Jahres verkündeten: Dieses Jahr fahren wir woanders in Urlaub, habe ich gesagt: "Ist mir egal, wo ihr hinfahrt, ich reise in den Schwarzwald!" Gesagt, getan: Ich reiste mit zwölf alleine mit dem Zug zu meinen Freunden. Ein festes Vierer-Gespann waren die drei Jungs und ich, und wir hatten viel Spaß und auch den dazugehörigen Ärger. An viele Geschichten erinnere ich mich, und wir reden gerne über die alten Zeiten. Und unsere Freundschaft hat all die Jahre überdauert. Mal haben wir uns öfter gesehen und mal weniger. Auch Partner und Partnerinnen haben gewechselt. Und wir alle haben Kinder bekommen, jede/r für sich.

Letztes Jahr war ich ausnahmsweise nochmal alleine da, und am Lagerfeuer kam unser Stein zur Sprache: Den hatte ich ja total vergessen. Wir haben damals unsere Namen in Stein gemeißelt. Was für ein Geschenk – diese langjährige Freundschaft und die in Stein gemeißelte Erinnerung daran!